Das Magazin für Innere und Äußere Sicherheit, Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Kritische Infrastrukturen
Home
Die Wehrbeauftragte Eva Högl (links) übergibt den Jahresbericht 2023 an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. | © DBT/Thomas Trutschel/photothek

Berlin, 12.03.2024

Wehrbeauftragte stellt Jahresbericht 2023 vor: Immer noch von allem zu wenig

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, stellte am 12. März 2024 ihren Jahresbericht für 2023 vor. Zuvor übergab Högl ihn an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Die Wehrbeauftragte hilft nach Artikel 45b des Grundgesetzes dem Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte. Sie gilt aber auch als Anwältin der Soldaten, die sich jederzeit an sie wenden können. Die drei notorischen Baustellen der Bundeswehr für sie: Personalgewinnung, Infrastruktur und Material. Die Industrie müsse ihre Kapazitäten hochfahren.

Wichtig für sie: „Wir sind in Deutschland nicht im Krieg und auch in der Nato nicht und nicht in der Europäischen Union. Deswegen brauchen wir auch keine Kriegswirtschaft.“

Ob der anhaltende Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Abhöraffäre im Bundesverteidigungsministerium oder die Wiederbelebung der Wehrpflichtdebatte – auch der diesjährige Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages fällt in eine sicherheits- und verteidigungspolitisch angespannte Zeit. Die bittere Erkenntnis unserer Tage laute, so Dr. Eva Högl im Interview mit dem Parlamentsfernsehen: „Es geht nicht ohne Militär, wenn wir Frieden und Freiheit wollen“.

Die drei Dauerbrenner Personal, Material und Infrastruktur seien wenig überraschend, so die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) im Wehrbericht 2023: „Die Truppe altert und schrumpft. […] Es mangelt an Material vom Großgerät bis zu Ersatzteilen.“ Durch die Abgaben an die Ukraine sind die Mängel beim Material noch größer geworden.

„Ich muss leider feststellen: Es ist immer noch von allem zu wenig“, erklärt Högl. Weiterhin fehlen Munition, Funkgeräten, Schiffen, Panzern und Flugzeugen.

Högl: Kasernen teils in erbärmlichem Zustand

Einer der Dauerbrenner: Die Infrastruktur, die vielerorts desaströs ist. Högl spricht von „maroden Stuben, verschimmelten Duschen und verstopfen Toiletten.“ Es sei zum Teil beschämend und dem Dienst unserer Soldatinnen und Soldaten völlig unangemessen, in welchem schlechten Zustand die Kasernen.

Die Personallage ist besorgniserregend: 20.000 Stellen sind unbesetzt. Auch die Abbruchquote ist weiterhin hoch: Rund 26 Prozent der Rekrutinnen und Rekruten brechen die Ausbildung vorzeitig ab.

„Ich komme nicht umhin festzuhalten, dass auch im zweiten Jahr der Zeitenwende substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur auf sich warten lassen“, sagte die Wehrbeauftragte. Alle drei Bereiche müssen im Gleichklang vorangebracht werden. „Daran muss weiter mit Hochdruck gearbeitet werden.“

Zwei-Prozent-Ziel nicht eingehalten

Die finanzielle Lage bleibt schwierig. Zwar gab es einen deutlichen Anstieg der finanziellen Mittel für die Bundeswehr auf nun 58,5 Milliarden Euro, doch die Zwei-Prozent-Quote konnte auch im Jahr 2023 nicht eingehalten werden. „Zum Ende des Berichtszeitraums waren bereits zwei Drittel des Sondervermögens gebunden“, sagte Högl. Mit dem Auslaufen des Sondervermögens muss der Etat stark wachsen – besonders durch die Aufstellung einer Brigade in Litauen.

Einen Lichtblick gibt es immerhin im Wehrbericht: die persönliche Ausrüstung der Soldaten. „Bei vielen Truppenbesuchen sehe ich die leuchtenden Augen von Soldatinnen und Soldaten, die stolz ihre neue Ausrüstung präsentieren“, schreibt Högl. Aber der Truppe fehlen Spinde, um die Ausrüstung zu lagern.

Das Ziel ist also noch lange nicht erreicht: „In vielen Bereichen wurden wichtige Weichen gestellt und Vorhaben auf den Weg gebracht – selbst wenn es noch Zeit brauchen wird, bis die Truppe die Ergebnisse hiervon spürt“, so die SPD-Politikerin.

Lob für die Truppe

„Wie professionell, loyal, engagiert und kreativ unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst leisten und ihre vielen Aufträge erfüllen, beeindruckt mich jeden Tag. Zumal sie keinen Job haben wie jede oder jeder andere“, sagte Högl. „Sie garantieren Freiheit, Frieden und Demokratie – im Ernstfall mit ihrem eigenen Leben. Dafür verdienen sie die größte Anerkennung und Wertschätzung.“

Frauen sind unterrepräsentiert

Der Anteil von Frauen in der Bundeswehr ist im Vergleich zum Vorjahr zwar leicht gestiegen, doch in vielen Bereichen sind Frauen immer noch unterrepräsentiert. „Es braucht weitere Anstrengungen bei der Gleichstellung und Chancengleichheit bei der bedarfsgerechten persönlichen Ausstattung, bei der Schaffung von familienfreundlichen Arbeitszeiten- und Karrieremodellen und beim Ausbau der Kinderbetreuung, damit die Bundeswehr für Frauen attraktiv ist“, schreibt Högl. Vor allem in den Führungspositionen gibt es zu wenige Frauen. „Die Zahlen haben sich zum Vorjahr nicht verändert.“

„Die Fortschritte sind bislang noch eher punktuell statt flächendeckend, an der Oberfläche statt in der Substanz. Beim Personal, Material und Infrastruktur ist weiterhin viel zu tun“, so Högls Fazit. „Daher möge der Jahresbericht 2023 ein weiterer Impuls sein, der noch mehr Energie und Engagement für Verbesserungen freisetzt.“

Immerhin, so gibt sie sich optimistisch, sei „die Bundeswehr auf dem Weg dahin, vollständig einsatzbereit zu sein“. Große Teile des 2022 beschlossenen Sondervermögens für die Truppe von 100 Milliarden Euro seien bereits vertraglich gebunden. Auch komme fehlendes Material endlich bei den Soldatinnen und Soldaten an. Das sei positiv und daran erkenne man, dass es vorwärts geht. Gleichwohl sei man noch lange nicht am Ziel, so Högl, die das Amt der Wehrbeauftragten seit Mai 2020 bekleidet. In ihrem nun vierten Jahresbericht mahnt sie Verbesserungen insbesondere bei den Themen Personal, Material und Infrastruktur an.

Im Bereich der Personalgewinnung gebe es große Probleme in der Bundeswehr, sagt die Wehrbeauftragte. Die Truppe schrumpfe und altere, die Einstellungsquote sei nicht zufriedenstellend. Um die Zielmarke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu erreichen, müsse „massiv in die Streitkräfte investiert werden“. Dabei gehe es auch darum, die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen. Vielerorts seien Kasernen jedoch in einem „erbärmlichen“ Zustand, kritisiert Högl und bezifferte den Investitionsbedarf allein in diesem Bereich auf 50 Milliarden Euro für 7.000 Bauvorhaben.

Hinsichtlich der wieder aufgeflammten Debatte zur 2011 ausgesetzten Wehrpflicht plädiert Högl für einen neuen Ansatz. Die Wehrpflicht in ihrem ursprünglichen Gewand hält sie für nicht zielführend, stattdessen bringt sie ein „Jahr für unsere Gesellschaft“ ins Spiel, das junge Menschen nicht nur, aber auch bei der Bundeswehr absolvieren können. „Denn die Verteidigung unseres Friedens“, so die Wehrbeauftragte, „ist nicht nur eine Aufgabe der Bundeswehr, sondern der gesamten Gesellschaft“.

Die jüngst von Russland abgehörten Gespräche hochrangiger Bundeswehrsoldaten seien „nicht sinnbildlich“ für das Thema Datensicherheit bei der Truppe, ist Högl überzeugt. Gleichwohl zeige der Vorfall, dass „Russland uns im Bereich der Information und Kommunikation angreift“, Deutschland beim Thema Spionageabwehr Fortschritte brauche und der Militärische Abschirmdienst besser ausgestattet werden müsse. Ihren Informationen zufolge sei das jüngste Sicherheitsleck aber auf einen individuellen Anwenderfehler zurückzuführen und nicht auf grundsätzliche Defizite bei der internen Bundeswehrkommunikation.

Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner Wüstner: „Jetzt zu investieren, ist elementar“

Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner fordert angesichts der großen Mängel bei der Bundeswehr umfangreiche Investitionen in die Truppe: „Wir haben in allen Teilstreitkräften massive Probleme gemessen am Auftrag, an der Lage“, sagte Wüstner am Dienstag im ARD-Morgenmagazin. Keine einzige Heeresbrigade sei einsatzbereit. „Jetzt zu investieren, ist elementar.“

Wüstner betonte, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr habe „leider Gottes“ nichts verbessert. Seit 1990 seien mehrere Hundert Milliarden Euro eingespart worden, man habe sich nur auf internationales Krisenmanagement ausgerichtet und jetzt seien Landes- und Bündnisverteidigung wieder ein Schwerpunkt. Dafür sei die Bundeswehr nicht aufgestellt. Högl habe schon 2023 von mindestens 300 Milliarden Euro gesprochen, die es dafür brauche. „Deswegen ist 2024 ein Schlüsseljahr für die Bundeswehr, für Deutschland für Europa mit Blick auf Frieden und Freiheit, insbesondere mit Blick auf die Ukraine“, sagte Wüstner.

Högl übergab ihren Bericht (20/10500) am Dienstag, 12. März 2024, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas >>> hier zum download

(Quelle: Wehrbeauftragte des Bundestages | Deutscher BundeswehrVerband e. V.)