Bonn, 03.11.2011
Globale Ernährungssicherheit
Für und wider konventioneller und ökologischer Landwirtschaft für die Ernährung der nun offiziell auf sieben Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung standen im Mittelpunkt der diesjährigen Herbsttagung des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) in Berlin. „Wir werden einen ‚food crash’ erleben, warnte BÖLW-Geschäftsführer Dr. Alexander Gerber.
Der BÖLW-Vorstandsvorsitzende Dr. Felix Prinz zu Löwenstein hatte kürzlich ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht. Auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken setzte entsprechende Prioritäten. Sie wolle der „Ernährungssicherheit einen hohen Stellenwert einräumen, weil das eben letztendlich über allem steht.“ Seit etwa 1950 hätten sich alle dafür negativen Faktoren extrem beschleunigt, so Prof. Dr. Reinhold Leinfelder. Als Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) vertritt er die These vom „Anthropozän“, einem irreversibel vom Menschen dominierten Erdzeitalter. Die mittlere Bodenerosionsrate habe seit 500 Millionen Jahren bei 24 Metern pro einer Million Jahre gelegen, so Leinfelder. Heute seien es bereits 700. Daran sei die Landwirtschaft besonders beteiligt.
Der WBGU schätzt, dass der weltweite Nahrungsbedarf bis 2050 um bis zu 70 Prozent ansteigt. Dazu trügen die sich in Schwellenländern verändernden Ernährungsgewohnheiten bei. Auch die durch die zunehmende Nutzung von Bioenergie verursachte „Teller-Tank"-Problematik“ existiere tatsächlich. Das Kyoto-Protokoll habe hier sogar noch Fehlanreize gesetzt, so Leinfelder. Der Wissenschaftler plädiert allerdings für einen systemischen Ansatz. Bei allen Versuchen umzusteuern müssten immer die sozialen Folgen berücksichtigt werden. Auch gentechnische Methoden sehe er insofern „recht differenziert“. Eine Intensivierung der Landwirtschaft könne auch nachhaltig gestaltet werden, Produktionssteigerungen seien durchaus mit technischen Entwicklungen zu erreichen, so Reinhold Leinfelder.
Unbestritten ist die Landwirtschaft nicht nur Verursacherin, sondern auch Leidtragende von Umweltproblemen. In Berlin diskutierten darüber DLG-Chef Carl-Albrecht Bartmer, der Geobiologe Prof. Dr. Reinhold Leinfelder , Moderatorin Tanja Busse, Brauerei-Geschäftsführer Dr. Franz Ehrnsperger und BÖLW-Vorstand Dr. Felix Prinz zu Löwenstein (v. l. n. r.).
(Bild: BÖLW)
BÖLW-Vorstand zu Löwenstein betonte die schwindenden Ressourcen, die für konventionelle Landwirtschaft erforderlich seien. So reichten die Vorräte an den für Dünger benötigten Phosphaten ohne massives Recycling den Schätzungen zufolge nurmehr für 30 bis 130 Jahre: „Märkte bilden Knappheiten erst dann ab, wenn es fast zu spät ist.“ Zu Löwenstein forderte daher phosphoreffizientere Verfahren und staatliche Steuerungsmaßnahmen. Jährlich würden allein in die Ostsee ca. 600.000 Tonnen Klärschlamm entsorgt. Als Quasi-Binnenmeer stehe sie kurz vor dem Umkippen.
Etwas verklausuliert assistierte Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG): „Jeder von uns gibt bei gewissen Ereignissen jeden Tag Phosphor auch wieder ab.“ Klärschlamm wiederzuverwerten stoße aber vor Ort regelmäßig auf großen Widerstand. Heftige Kritik seitens des BÖLW rief hingegen die These von Agrarfunktionär Bartmer hervor, dass die Grenze zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft ohnehin fließend sei. Der Öko-Verband vertritt die Auffassung, dass „industrielle Landwirtschaft mit synthetischem Dünger, Pestiziden und Gentechnik auf dem Feld sowie Massenproduktion von Billigfleisch im Stall“ nicht Lösung, sondern Ursache für die Probleme der globalen Ernährungssicherung sei. (kö)
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http://www.boelw.de/
http://wbgu.de/
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